Novellen

„Omis letzte Reise“

Alt zu werden bei bester Gesundheit, das wünscht sich wohl jeder. Doch leider ist das nur wenigen vergönnt.

Meine Großmutter väterlicherseits gehörte zu den wenigen, die ein langes Leben hatte. Sie wurde knapp 98 Jahre. 1890 in Flensburg geboren und 1988 in Oxelösund/Schweden gestorben.

 

Omi, wie sie genannt werden wollte, hatte viel erlebt. Den 1. Weltkrieg, danach die Volksabstimmung, als die dänische Grenze gen Süden nach Flensburg versetzt wurde, die Inflation und schließlich den 2. Weltkrieg, den sie als große Ungerechtigkeit empfand. Wie gut hatte sie es gehabt, als Hitler noch an der Macht war! Ihr Mann, mein Opa, war zu der Zeit Deichgraf und später in Kiel eine unbedeutende Größe der SA. Das waren noch Zeiten, als sie an seiner Seite als seine Gattin repräsentieren durfte. Nach dem Krieg wurde mein Opa in Neuengamme entnazifiziert. Was für eine Schande! Als Maler auf der Husumer Werft verdiente er fortan das Geld für den gemeinsamen Unterhalt. Omi hatte nie gearbeitet und so war das Geld immer knapp. Ein bisschen halfen da die Verkäufe seiner Ölgemälde, um über die Runden zu kommen. Opa war nämlich eigentlich Kunstmaler. Und so strich er nicht nur die Schiffe an, sondern war auch für deren kunstvollen Namenszüge verantwortlich. Sein Leben endete kurz nach dem Renteneintritt am Heiligen Abend mit 66 Jahren. Obwohl er fast blind aufgrund seiner Zuckerkrankheit war, hatte er bis zum Schluss Bilder gemalt. Omi war zu dem Zeitpunkt schon 73 Jahre alt, also sieben Jahre älter als ihr Mann. Sie zog für eine Weile nach Wassersleben in ein kleines Haus an der Förde. Die Umgebung war ihr vertraut, zumal ihre jüngere Schwester im benachbarten Flensburg wohnte. Das einzige Kind ihr Sohn, mein Vater, war nach Schweden ausgewandert und besuchte sie einmal im Jahr. Wir Kinder erfuhren, dass er ihr bei einer seiner Besuche vorgeschlagen hatte, ihren Körper zu

verkaufen. „Du willst mich verkaufen?“ hatte sie ihn ungläubig gefragt. „Du, mein einziger Sohn gehst so mit deiner Mutter um?“ „Sieh´ das mal so“, versuchte er sie zu beruhigen, „du bist allein und nicht mehr ganz jung. Sollte dir was zustoßen, wäre alles geregelt.“ „Was sollte denn geregelt sein?“ entgegnete sie gereizt. „Setz dich erst mal hin und dann erklär ich dir das in Ruhe.“ meinte er feierlich. Völlig verstört und mit einem großen Seufzer fiel sie in ihren Sessel. „Ich habe mit der Universitätsklinik in Kiel gesprochen“ fuhr er fort „dort benötigt man immer wieder Körper zum Sezieren.“ Omi rollte mit den Augen. „Du würdest ja nichts davon merken, weil du ja sowieso schon tot bist. Das UKSH zahlt dir vorab eine schöne Summe Geld. Somit erübrigt sich dann auch eine teure Beerdigung und du hast jetzt schon was davon.“ versuchte er es ihr schmackhaft zu machen. Omi dachte an ihre kleine Rente. Ein warmer Regen käme ihr gerade recht. Schließlich willigte sie ein und unterschrieb, wenn auch mit einem mulmigen Gefühl.

 

Es dauerte nicht lange und Omi zog nach Schweden zu ihrem Sohn, unserem Vater. Nicht ganz! Denn der hatte für sie einen Platz im Altersheim organisiert und dabei wohlweislich verschwiegen, dass sie eine Rente, wenn auch klein, in Deutschland bezog. Als mittellose Person stand ihr der Platz kostenlos zur Verfügung. Der schwedische Staat zahlte alles. Die Rente ging auf das Konto ihres Sohnes. Die UKSH-Angelegenheit geriet langsam in Vergessenheit. Mein schlauer Vater bunkerte das Geld seiner Mutter, um sorgenfrei mit seiner dritten Frau auf Sri Lanka ein neues Leben aufzubauen. Er war in Rente und seine Mutter lebte immer noch. Wie gut, dass sie vom schwedischen Staat versorgt wurde. Bevor er sich nach Sri Lanka aufmachte, übergab er seinem naiven Freund Ingvar die Verantwortung für Omi, denn uns, seinen eigenen Kindern, traute er nicht über den Weg. Ingvar sollte sich kümmern. So blieb Omi allein im Altersheim, als älteste Bewohnerin, immer noch klar im Kopf. Man versorgte sie gut und mit der Sprache kam sie zurecht, weil ihr dänisch aus der Jugendzeit dem schwedischen ähnlich ist. Die Zeit verging. Hin und wieder

fragte sie nach ihrem Sohn, wo er denn abbliebe. Der hatte sich bekanntermaßen längst nach Sri Lanka abgesetzt, ohne sich von ihr zu verabschieden. Freund Ingvar erledigte ihre Angelegenheiten so gut es ging. Froh war er, dass meine schwedischen Geschwister manchmal zu Besuch kamen. Auch die zweite Frau meines Vaters kam vorbei, um nach dem Rechten zu sehen, obwohl Omi sie immer gehasst hatte. Nun tat es ihr gut, über die Familie in der Muttersprache zu sprechen.

Eines Tages rief mich mein Bruder Arvid an. „Ich glaube, mit Omi geht es zu Ende!“ Ich wusste, dass wir in diesem Fall als Enkel keinen Einfluss nehmen konnten. „Was ist denn mit Ingvar, was sagt er denn dazu?“ „Ingvar ist total überfordert und möchte am liebsten nichts damit zu tun haben. Er gibt uns freie Hand.“ „Das heißt, im Falle ihres Todes sollen wir das regeln? Aber war da nicht was mit ihrem Körper, der dem Universitätsklinikum Kiel verkauft wurde?“ „Das ist richtig! Und da sie nach Schweden umgezogen ist, gilt ein Abkommen zwischen dem UKSH in Kiel und dem Karolinska Institutet in Stockholm.“ „Dann ist doch alles geregelt“ warf ich ein. „Leider nicht“ entgegnete Arvid. „Ich habe dort nachgefragt. Hier in Schweden haben wir momentan, wie du weißt, Sommerferien. In den Sommerferien bleibt vieles liegen, auch die Leichen in den Kühlboxen des Karolinska Institutet. Das bedeutet, dass Omi nicht aufgenommen werden kann, sollte sie in dieser Zeit sterben. Alle Boxen sind voll!“ Es drehte sich in meinem Kopf. „Ja, kann sie deshalb vielleicht doch richtig beerdigt werden?“ „So ist es“ erwiderte Arvid. Mir fiel das Grab von Tante Frieda, ihrer Schwester, ein. Meine Großtante hatte ihre letzte Ruhestätte auf dem Waldfriedhof in Friedrichsgabe gefunden. Dort war noch ein Platz frei. „Ich könnte dafür sorgen, dass sie hier beerdigt wird“ schlug ich meinem Bruder vor. Der war begeistert. „Dann muss sie nur noch in den Ferien sterben!“ hoffte er. Ich stimmte ihm zu. Tina, Arvids Mutter kümmerte sich weiterhin um ihre Ex-Schwiegermutter, mit der es täglich bergab ging. „Vart är jag pa väg?“ (Wohin komme ich?) fragte sie eines Tages schwach. „Du kommst zu Ute und dann wird

alles gut!“ beruhigte sie Tina. Da schloss Omi die Augen und war tot.

Es waren noch Ferien in Schweden.

Sofort kümmerte ich mich um die Grabstelle, während meine Geschwister die Trauerfeier vorbereiteten. Ingvar gab bereitwillig das Geld dazu. Er war froh, dass diese Last von ihm genommen wurde. Wir hatten vereinbart, die Trauerfeier in Oxelösund stattfinden zu lassen. Die Urne sollte dann nach der Einäscherung auf dem Dienstweg nach Norderstedt geschickt werden. Wir konnten sie nicht einfach so mitnehmen.

Und so fuhren mein Mann und ich mit dem Auto nach Oxelösund, eine Strecke von ungefähr 1000 km. Hinten lag der Trauerkranz mit bunten Blumen der Jahreszeit. Die Sonne schien erbarmungslos durch unser Dachfenster und ließ das teure Stück schnell welken. Je näher wir unserem Ziel kamen, desto schlimmer sah der Kranz aus. Es half nichts, das traurige Exemplar musste nochmal von einer örtlichen Floristin für die doppelte Summe aufgepeppt werden. Die Trauerfeier war sehr stilvoll. Omi hätte sich daran erfreut, nur ihren Sohn hätte sie vermisst. Der schickte schöne Grüße aus Sri Lanka. Wir Geschwister hatten uns lange nicht gesehen und so hatten wir noch ein paar nette Stunden miteinander. Die örtliche Zeitung würdigte Omi mit Text und Foto. Schließlich war sie die älteste Einwohnerin von Oxelösund.

Zufrieden, dass alles gut geklappt hatte, traten mein Mann und ich die Heimreise an.

 

Zwei Wochen später kam ein Anruf von der Stadtverwaltung. Eine sympathische Frauenstimme: „Frau Oswald, Ihre Oma steht bei mir auf dem Schreibtisch! Wie soll das jetzt weitergehen?“ Die Urne war also angekommen!

Omi war nicht in der Kirche. Trotzdem hatten wir schon mit Pastor Findeisen vereinbart, dass er sie auf ihrem letzten Weg begleitet.

Ein paar Tage später schritten wir, die engsten Angehörigen, zum Grab. Der Pastor vorneweg mit der Urne. Nach ein paar feierlichen Worten ließ er die Urne hinunter.

 

Nun lag sie friedlich neben ihrer Schwester. „Vertragt Euch!“ ermahnte ich die Beiden. Die Schwestern hatten sich nämlich ein Leben lang gestritten.

 

Das war Omis letzte Reise!

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